Petrikirche
Adresse
Wartburgstraße 109, 44579 Castrop-Rauxel
Was ist das Besondere an dieser Kirche?
Zunächst einmal ist sie ein Symbol für die Entwicklung der Industrie im Ruhrgebiet.
Warum?
Sie wurde gebaut in einer Zeit der Entwicklung, des Umbruchs, des Neubeginns und der Hoffnung auf eine neue Heimat. Am Ende des vergangenen Jahrhunderts änderte sich viel in unserer Region. Aus einer relativ ländlichen Gegend mit neun evangelischen Familien entwickelte sich in kurzer Zeit ein Standort der Schwerindustrie.
Was hat das mit der Kirche zu tun?
Innerhalb von nur 30 Jahren wurden im Ruhrgebiet Industrieunternehmen gegründet. In Habinghorst die Schachtanlagen Viktor 3 / 4 und später die Teerproduktion. Um Arbeiter zu gewinnen wurden Werber nach Ost- und Westpreußen, Schlesien und Pommern geschickt. Die Menschen kamen und brachten nicht nur ihren Dialekt, ihre liebgewonnenen Essgewohnheiten sondern auch ihren Glauben mit. Viele von ihnen waren evangelisch und so gab es um 1910 schon 1225 Evangelische in Habinghorst.
1907 gab das Königliche Konsistorium die Genehmigung zur Gründung der Gemeinde und am 1. Dezember des gleichen Jahres wurde die erste Pfarrstelle eingerichtet.
Schon drei Jahre später, am 31.7.1910, konnte die Grundsteinlegung gefeiert werden.
Fertiggestellt wurde sie schon 1911- also ein Bau, an dem mit Hockdruck gearbeitet wurde.
Wieso ist sie ein Symbol für die Entwicklung?
So wie hier in Habinghorst ging es in vielen Bereichen des Ruhrgebietes zu. In diesem Zeitraum entstand die höchste Anzahl evangelischer Kirchen. Überall wurden Kirchen gebaut, die den neuen Mitbürgern und Mitbürgerinnen ein Gefühl des Angekommenseins vermitteln konnten. Die Gemeinden erhielten Unterstützung aus höchsten Kreisen: Habinghorst bekam – wie viele andere Gemeinden auch – ein sog. Gnadengeschenk des Kaisers in Höhe von 12.900 Mark. Die Kaiserin schenkte der Gemeinde zur Einweihung eine Bibel – leider ist sie nicht mehr erhalten.
Die Kirche wurde nach einem besonderen, einem evangelischen Grundriss errichtet: Sie hatte die Form eines griechischen Kreuzes: alle Kreuzesarme sind gleich lang.
Was ist daran „evangelisch“ ?
In einem evangelischen Gottesdienst steht die Bibel im Mittelpunkt- gleichwertig in Form von Altar, Gesang und Auslegung des Wortes. Deshalb versuchte man möglichst viele Menschen möglichst nahe an das Geschehen heranzubringen. Durch die breite Form des Querarmes und die Einrichtung von Emporen konnten viele Menschen nahe am Geschehen sitzen. Besonders hervorgehoben wurde der evangelische Gedanke auch durch die Inneneinrichtung, dem sog. „Wiesbadener Modell“. Hier waren vor der Gemeinde der Altar, darüber die Kanzel und dahinter die Orgel zu finden. Dies symbolisiert die Gleichheit von Geschehen am Altar, Auslegung der Bibel und Gesang.
Die Geschichte der Gemeinde ging weiter wie andernorts auch: Die Kirche wurde im zweiten Weltkrieg zerstört.
Am 3. Januar 1945 wurde sie von einer Sprengbombe getroffen. Die Schadensmeldung an die Kirchenleitung lautete: „ es steht: Turm mit nördlicher und östlicher Umfassungsmauer und ein Teil des Dachstuhls. Völlig zerstört: Altarraum, Orgel, Heizung, Kirchenraum- Inventar zum größten Teil unbrauchbar.“
Wie ging es weiter?
Bereits 1946 wird mit dem Wiederaufbau begonnen.
Die Gemeineglieder sind bereit, Zeit, Geld und Können in den Dienst der Gemeinde zu stellen und beteiligen sich in unterschiedlichsten Bereichen. Der Grundriss wird zunächst beibehalten und auch der Eingang durch das noch existierende Portal an der Ostseite bleibt mit kleinen Veränderungen bestehen. 1949 wird die Kirche erneut eingeweiht und erhält den Namen PETRI Kirche – zuvor hieß sie „Evangelische Kirche Habinghorst“.
Hat sie sich weiterentwickelt?
Ja, sie wurde immer im Zeitgeist weiter ausgeschmückt. 1955 wurde der Altarraum von einem ehemaligen Sohn der Gemeinde, Hinrich Grauenhorst, neu ausgemalt. 1965 erhielt die Gemeinde die Erlaubnis bis direkt an die Grundstücksgrenze zu bauen und ließ einen neuen repräsentativen Eingang im Norden errichten. Die Einweihung des Anbaus, der jetzt den Haupteingang stellt, konnte 1966 gefeiert werden. 1970 bot sich die Möglichkeit die Fenster im linken Seitenschiff und den Bereich des Taufbeckens vom Künstler Paul Reding neu gestalten zu lassen.
Wie ist es heute?
Heute ist die Kirche noch immer ein Symbol der Veränderung im Ruhrgebiet.
Wir alle sehen, dass die Schwerindustrie immer weiter rückläufig ist. Die Zahl der Gemeindeglieder ist es ebenfalls.
Heute haben neue Mitbürger nicht einen anderen christlichen Glauben sondern gehören einem anderen Glauben an. Die Zahl der Kirchgänger ist rückläufig, die Zahl der Gemeindeglieder, die aktiv am Gemeindeleben teilnehmen, auch.
Dennoch halten sie das Gemeindeleben mit viel Engagement und Phantasie, Zeit-, Arbeits- und Geldspenden aufrecht.
Die Petrikirche verkörpert viel für die Menschen vor Ort: den Ort an dem sie getauft, konfirmiert und/oder verheiratet wurden, den Ort der Freude aber auch der Trauer.
Sie verkörpert ein Stück Ruhrgebietsgeschichte im Wandel der Zeit: unter hohem Einsatz aufgebaut, wiederaufgebaut, weitergebaut, zeitgemäß verschönert und mit hohem persönlichen Einsatz an Leben erhalten. Das Ruhrgebiet eben.
Petra Schieferstein-Kosthöfer
Kirchenführung/Kirchenpädagogik